SCHROBENHAUSEN – Die Tafeln in Deutschland stehen vor einer ihrer bisher größten Herausforderung. Mit einem Anstieg der Bedürftigen um 50 Prozent seit 2022 sind viele Einrichtungen gezwungen, Lebensmittel zu rationieren. Rund 60 Prozent der Tafeln haben aktuell keine andere Möglichkeit, um die Versorgung sicherzustellen.
Die Schrobenhausener Tafel versorgt wöchentlich etwa 350 Menschen, darunter 130 Kinder. Tafelleiterin Verena Bartelmann beschreibt die Situation als besorgniserregend: „Die Lebensmittelspenden gehen einfach drastisch zurück. Wir haben immer mehr Leute, die zur Tafel kommen, und die Armutsgrenze nimmt immer mehr zu.“ Besonders Rentner und Familien mit Kindern seien zunehmend betroffen.
Bartelmann berichtet von Einzelfällen, die die soziale Schieflage verdeutlichen: „Das letzte Mal war eine Frau da, die hat mir Anfang des Monats den Geldbeutel gezeigt mit 25 Euro und hat gemeint, das muss ja jetzt den ganzen Monat reichen.“ Der Ukraine-Krieg habe die Situation weiter verschärft, laut Bartelmann habe allein ihre Tafel über 100 neue Kundinnen und Kunden an einem einzelnen Tag zusätzlich gebracht.
Kritik an der Politik
Bartelmann fordert strukturelle Maßnahmen, um Armut langfristig zu bekämpfen. Die von Olaf Scholz vorgeschlagene Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel hält sie für unzureichend: „Ich denke eher, der Tropfen auf dem heißen Stein. Grundsätzlich helfen, denke ich, wird es nicht viel.“ Als Vorbild nennt sie Frankreich, wo Supermärkte verpflichtet sind, unverkaufte Lebensmittel an Tafeln zu spenden.
Ein weiteres Problem sieht sie in der Konkurrenz durch sogenannte Lebensmittelretter: „Wir haben auch hier Probleme mit den Lebensmittelrettern, die sich so nennen, uns die Ware wegschnappen. Und die kann jeder beanspruchen, also nicht bedürftige Leute. Und das ist natürlich nicht gut, wenn wir dann hinkommen und es heißt, die Tafel war schon da.“
Tafeln am Limit
Bundesweit versorgen die Tafeln rund 1,6 Millionen Menschen. Viele Einrichtungen greifen bereits zu drastischen Maßnahmen wie Aufnahmestopps oder Wartelisten. Tafel-Dachverbands-Vorsitzender Andreas Steppuhn forderte laut NOZ die Politik eindringlich auf, strukturelle Lösungen zu schaffen: „Tafeln können nicht auffangen und übernehmen, was der Staat seit Jahrzehnten nicht schafft.“ Die geplante Mehrwertsteuersenkung bezeichnete er als ersten denkbaren Schritt – „Aber mehr auch nicht.“
Trotz der Herausforderungen formuliert Bartelmann ihren Wunsch: „Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir so ein guter Staat sind, dass wir keine Tafeln mehr bräuchten. Dass jeder sein Auskommen hat. Es muss nicht riesengroß sein, aber es muss auch keiner am Hungertuch nagen.“